1990 — 2003
Beitrag Nr. 07
BEITRAG VON DR. ANNINA SANDMEIER-WALT
Tausende von jungen Menschen wohnten einst bei JUWO. In diesem Beitrag teilen ehemalige Bewohnerinnen und Bewohner ihre Erinnerungen aus den 1980er- und 1990er-Jahren. Sie erzählen von der Wohnungssuche und wie es war, in einer WG zu leben.
Die Jahresberichte der Jugendwohnhilfe der 1990er-Jahre machen deutlich: Keine Gelegenheit wurde ausgelassen, günstigen Wohnraum für junge Menschen anzumieten. Darunter befanden sich vorübergehend in die Jahre gekommene Alterswohnungen mit gemeinschaftlichen sanitären Anlagen oder auch, so ist 1991 zu lesen, «Objekte, die sich aus verschiedenen Gründen – Lärm, Immissionen, zu einfacher Ausbau, Grundriss usw. – nicht für Familien eignen». Verein und Stiftung ermöglichten auf diese Weise vielen jungen Wohnungssuchenden die ersten vier Wände.
Dieser Beitrag zeigt anhand von Beispielen aus den ersten 20 Jahren der Jugendwohnhilfe, wie es sich in solchen Liegenschaften wohnte. Wie erlebten Bewohnerinnen und Bewohner ihre Zeit bei JUWO?
WERNER,
damals Architekturstudent, zog 1986 in eine Wohnung an der Hohlstrasse 4 in Zürich und lebte dort bis 1992 in einer Dreier-WG.
SUSANN,
lebte als Studentin von 1988 bis 1991 in einer Dreier-WG-Wohnung an der Anwandstrasse 73.
ESTHER,
studierte, als sie von 1991 bis 1993 in einer Dreier-WG an der Oberwiesenstrasse 20 wohnte.
SIMONE,
gelernte Dekorationsgestalterin, wohnte von 1992 bis 1993 erst an der Anwandstrasse 34, dann bis 1994 am Manesseplatz in
einer Dreier-WG.
Die hier als Zitate angeführten Erinnerungen stammen von einem Aufruf des JUWO an ehemalige Mieter:innen, anlässlich des 40-Jahr-Jubiläums von ihren Erfahrungen zu erzählen.
WERNER
«Wir haben die Wohnung gemeinsam gesucht, das heisst, die Gruppe existierte schon. Meine beiden Mitbewohner kannten sich vom Gymnasium, ich habe mit einem der beiden studiert. Wie damals wohl üblich, mussten wir uns bei der legendären Frau Diggelmann zuerst an einigen Besichtigungsterminen ‹bewähren› - was offenbar gut funktionierte. Jedenfalls erhielten wir dann die Wohnung an der Hohlstrasse.»
SUSANN
«Wir waren eine Dreier-WG, drei junge Frauen, wir kannten uns gut (hatten miteinander die Kanti gemacht) und hatten alle unheimlich Freude, dass wir vom Verein Jugendwohnhilfe die Chance erhielten, zu Hause (Agglo Zürich) auszuziehen und auf eigenen Beinen zu stehen. Dass die WG in Zürich sein musste, lag auf der Hand - mit dem Velo an die Uni oder ans Semi und in den Ausgang zu gehen, das bedeutete Freiheit!»
ESTHER
«Ich habe damals lange nach einem WG-Zimmer gesucht. Es gab absurde Angebote zu hohen Preisen in Kellergeschossen nobler Villen. Dass wir dank dem JUWO in eine günstige Wohnung einziehen konnten, die unseren Ansprüchen komplett genügte, war eine riesige Erleichterung und Freude, die ich noch heute spüre, wenn ich daran zurückdenke.»
SIMONE
«Als wir uns für die erste Wohnung beim JUWO vorstellten, waren wir ziemlich nervös und aufgeregt. Wir wollten ja nichts falsch machen, damit wir auch sicher eine Wohnung kriegten. Die erste Wohnung war an der Anwandstrasse, eine Dreizimmerwohnung als Zwischennutzung, nur für ein halbes Jahr. Trotz der kurzen Zeit strichen wir alle Wände und richteten uns gemütlich ein. Danach kriegten wir die tolle Vierzimmerwohnung an der Manessestrasse. Da hatten wir sogar ein Wohnzimmer. Was für ein Luxus!»
Bilder: Werner
Erste Fotos des Hauses kurz nach Vertragsunterzeichnung. Vor dem Haus liegt die Baugrube für den Neubau des «Efeuhüsli». Werner wohnt im 1. Stock.
In der Küche von Werners WG steht die ursprüngliche Dusche, eine Blechkabine. Am Boden liegt ein billiger Novilon. In der Holzkiste stecken die Ölkanister.
Die Stühle im Wohnzimmer von Werners WG stammen aus dem ETH-Altmobiliarverkauf: Es waren die ursprünglichen Stühle der ETH-Bau-Cafeteria.
Kurz vor Ende 1986 hat Werner mit seinen Studienkollegen die Wohnung übernommen, nach drei Monaten waren sie einigermassen eingerichtet. Werner belegte das Eckzimmer mit zwei Fenstern zur Strasse und einer Tür zum Balkon.
WERNER
«Ein Badezimmer gab es zwar nicht, dafür eine Dusche in der Küche. Auch eine Zentralheizung fehlte; in jedem Zimmer gab es einen Ölofen, in den wir das Öl aus Kanistern einfüllen mussten. Unvorstellbar war die Miete: 450.– Franken pro Monat – für die ganze Wohnung. Je nach Zimmergrösse staffelten wir die Mieten: Fr. 120.–, Fr. 150.–, Fr. 180.–. Ich hatte das grösste Zimmer mit Balkon.»
SIMONE
«Wir waren drei Freundinnen, die zusammen in einer WG lebten. Wir hatten viel Besuch, kochten viel, tranken, lachten und waren oft im Ausgang. In der Regel gingen wir in illegale Bars, da es dort günstiger war, weil es in Zürich damals noch nicht so viele Clubs gab – und weil diese Bars sowieso viel cooler waren! Wir gaben uns ausserordentlich Mühe beim Einrichten, da zwei von uns Dekorationsgestalterinnen waren. Das war deshalb Ehrensache! Wir strichen die Wohnung und legten in der Küche und im Bad einen neuen Boden hinein.»
ESTHER
«Nach einer Einweihungsparty kam der Alltag: Wir lernten tagsüber in unseren Zimmern oder auswärts, gingen zur Uni, zur Schule, zum Sport oder ins Orchester. Jargo besass ein altes Klavier, das er in die Wohnung zügelte, und hin und wieder spielten wir gemeinsam eine Violinsonate. Über uns wohnte eine weitere Studi-WG der JUWO, mit der wir uns sehr gut verstanden. Die Zuteilung der Wohnungen war per Losentscheid gefällt worden.»
SIMONE
«Eines Tages war der Schlüssel zum Waschraum mal wieder nicht auffindbar, weil ihn irgendjemand aus dem Haus irgendwo verlegt hatte. Damals konnten wir nur jede Woche oder jede zweite Woche waschen. Wutentbrannt stieg ich in den Keller und trat die Türe zur Waschküche ein. Das Schloss zersplitterte, die Türe ging auf, ich hob sie aus ihren Angeln und stellte sie an die Wand. Nun gab es keine Türe mehr zur Waschküche. Alle konnten somit dann waschen, wenn die Maschine frei war. Keiner im Haus hat reklamiert. Ganz heimlich war ich ein wenig stolz auf mich, dass ich mich getraut hatte, so etwas Wildes zu tun.»
ESTHER
«Im Unterschied zu unseren Mitschülerinnen und Mitschülern am Gymnasium hatten wir in unserer Schulzeit nie geraucht, es nicht einmal ausprobiert. An einem Abend beschlossen wir, unsere erste Zigarette zu rauchen. Wir kauften bei einem Restaurant um die Ecke ein Päckchen Camel und taten am Küchentisch unsere ersten Züge. Noch heute rauchen wir hin und wieder gemeinsam eine Zigarette und denken dann an jene erste, hustende Raucherfahrung zurück.»
SUSANN
«Die Küche war winzig, was uns nicht dran hinderte, viele gemeinsame Abende mit Freundinnen und Freunden darin zu verbringen. Da unsere direkte Nachbarin schwerhörig war (ich konnte in meinem Zimmer die Tagesschau am TV mithören), mussten wir uns keine Sorgen machen, zu laut zu sein. Ab und zu veranstalteten wir WG-Essen mit befreundeten WGs: Apéro in der 1., Vorspeise in der 2., Hauptgang in der 3., Dessert und Absacker in der 4. WG.»
ESTHER
«Als wir die Wohnung übernahmen, rissen wir zuerst die Spannteppiche heraus und lösten die hartnäckigen Leimspuren mit Verdünner. Wir fanden die Aktion anstrengend, aber auch sehr lustig (wohl beschwipst von den Dämpfen). Irgendwann kam ein Bewohner der oberen WG nach unten und wollte wissen, was denn bei uns für eine Party steige und weshalb es bei ihnen oben so stark nach Lösungsmitteln rieche...»
WERNER
«Interessant war es auch, an warmen Sommerabenden vom Balkon aus den Betrieb im Quartier zu beobachten. In der Strasse standen einige Prostituierte – damals meist Schweizerinnen –, einige hatten im Haus gegenüber ihr Zimmer. Manchmal waren es Gruppen junger Männer, die mehrmals um den Block kreisten, bis sich einer wagte, eine der Damen anzusprechen. Es gab aber auch die andere Seite: Die Frau, die vor unserem Haus ihren Posten hatte und die wir also vom Sehen her kannten, bat uns eines Abends um ein Pflaster, um eine Brandwunde am Arm abzudecken. In den späteren Jahren, ab ca. 1990, wurde die Szene rauer und lauter und internationaler.»
Erinnerungen teilen Menschen meist dann gerne, wenn sie diese Erfahrungen als positiv erlebt haben. Alle vier ehemaligen Bewohner:innen, die dem Aufruf von JUWO gefolgt sind und ihre Erlebnisse aufgeschrieben haben, blicken wohlwollend auf ihre Zeit bei der Jugendwohnhilfe zurück. Alle leben noch immer in Zürich und haben noch Kontakte zu ehemaligen Mitbewohner:innen.
In den Jahresberichten der Jugendwohnhilfe kommen aber auch andere Erfahrungen zur Sprache: Probleme innerhalb der Wohngemeinschaften oder in der Nachbarschaft aufgrund von Auseinandersetzungen wegen Lärm oder der Waschküche waren keine Seltenheit. Hartnäckige Fälle von Differenzen schafften es zum Teil auch in den Geschäftsbericht der Jugendwohnhilfe. 1996 schrieb hier eine Mieterin, die sich mit Lärmklagen von Nachbarn konfrontiert sah, verzweifelt: «Wir sind mit unserer Weisheit am Ende. Noch ruhiger geht es einfach nicht. Wir wandeln bereits durchs Schlafzimmer als wäre es ein Minenfeld. Wir können ja nicht durch die Räume schweben.» Ombudsmänner wie Walter Martinet bemühten sich dann um gemeinsame Lösungen. «Mit etwas gutem Willen lassen sich jedoch (fast) alle Schwierigkeiten lösen», meinte er.
Haben Sie andere Erfahrungen mit JUWO gemacht? Wir freuen uns auf Ihre Kontaktaufnahme unter info@juwo.ch